3. April 2012 · 22:31
Fast 1200 Personen konnten Gerald Hüther gestern Abend, am 2.4.2012, live in Berlin erleben und ziemlich viele mehr hätten gerne noch einen Platz in der Urania bekommen, mussten aber wieder gehen. Der große Andrang kam nicht von ungefähr: In seiner ruhigen, selbstbewussten und sympathischen Art nahm Prof. Hüther das Publikum 90 Minuten lang mit in die Welt der Neurobiologie und des Lernens.
Auf nachvollziehbare und unterhaltsame Weise machte er deutlich, wie das Verständnis vom menschlichen Gehirn sich in den letzten hundert Jahren verändert hat: Ging man zunächst davon aus, dass es wie eine Maschine im Laufe des Lebens verschleißen würde, entwickelte man später die Vorstellung, durch verstärktes Nutzen des Gehirns würde es wachsen und stellte erst in der neueren Zeit fest, dass zum Lernen immer auch möglichst viel Motivation gehört. Daher braucht es nach Hüther eine Kultur gegenseitiger Begeisterung.
Die grundsätzlichen Rahmenbedingungen für Lernen werden jedoch nicht erst im gesellschaftlichen Zusammenleben gelegt, sondern schon viel früher. Sie sind zwar nicht genetisch bedingt, entstehen aber bereits vor der Geburt. Das Gehirn eines ungeborenen Kindes strukturiert sich anhand dessen körperlichen Gegebenheiten und Eindrücken. So wächst es mit dem Kind und verarbeitet Erfahrungen und Gefühle, die es über die Mutter vermittelt bekommt. Hier entsteht eine Balance zwischen Nähe und Wachstum, die der Mensch ein Leben lang braucht. In einer individualisierten Gemeinschaft, in der viele unterschiedliche Menschen gemeinsam etwas tun und gestalten, funktioniert Lernen daher am besten. Ein System des Bestrafens und Belohnens ist nicht so wirksam wie eines, das zu Haltungsänderungen führt. Da Haltung auf Erfahrungen beruht, die aus kognitiven und emotionalen Ereignissen entstehen, braucht es für eine neue Haltung auch neue Erfahrungen. Hierfür wiederum ist es nötig, dass Menschen sich gegenseitig einladen, ermutigen und inspirieren, neue Erfahrungen zu machen. Wir brauchen also andere Menschen, andere Gehirne, um die Potenziale unseres eigenen Gehirns zu entfalten.
An diesem letzten Punkt schloss sich für mich in dem Vortrag der Kreis zu dem, was Hüther am Anfang über eine „Kultur der gegenseitigen Begeisterung“ sagte.
Aus dem Publikum kam anschließend u.a. noch eine interessante Frage: Sollten wir nicht – angesichts der Tatsache, dass das Potenzial, viele verschiedene Dinge zu lernen, in uns allen von Anfang an angelegt ist- , statt Bildung (die von außen kommt und so etwas wie „Formen“ meint), eher den Begriff des Entfaltens verwenden?
Mit vielen inspirierenden Denkanstößen verließen also 1200 Menschen den Vortrag und es schien, als sei eine Haltungsänderung zum Greifen nah.
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